Europa auf Rückzug: Droht das Ende des Green Deal?
Wie die EU unter dem Druck von Wirtschaft und Rechtspopulismus zentrale Umweltgesetze zurückfährt – und was das für die Zukunft des Klimaschutzes bedeutet.
Von der Klimavorreiterin zur Bremserin?
Die Europäische Union galt mit ihrem ambitionierten Green Deal lange als globales Vorbild im Umwelt- und Klimaschutz. Doch in den letzten Monaten hat sich der Wind spürbar gedreht: Zentrale Umweltinitiativen werden verschoben, abgeschwächt oder gänzlich gestrichen. Kritiker:innen sprechen bereits von einem “klimapolitischen Rollback”, das die EU teuer zu stehen kommen könnte – ökologisch wie geopolitisch.
Die grüne Wende im Rückwärtsgang
Besonders auffällig ist die plötzliche Kehrtwende bei gleich mehreren Kernprojekten:
• Anti-Greenwashing-Gesetz: Die geplante Verordnung, die Verbraucher:innen besser vor irreführenden Nachhaltigkeitsversprechen schützen sollte, wurde von der EU-Kommission überraschend auf Eis gelegt.
• Lieferkettengesetz gegen Entwaldung: Die Umsetzung des Gesetzes, das verhindern sollte, dass Produkte aus Entwaldung auf den europäischen Markt gelangen, wurde signifikant abgeschwächt.
• CO₂-Grenzausgleich (CBAM): Ein zentrales Instrument zum Schutz des europäischen Marktes vor billigen, klimaschädlichen Importen wird verzögert – unter dem Vorwand, europäische Unternehmen nicht zu überfordern.
• Schutzstatus des Wolfs: Nach massivem Lobbydruck aus der Landwirtschaft wurde der Schutzstatus des Wolfs durch die EU-Kommission gelockert – ein Schritt, den Naturschutzverbände als fatales Signal bewerten.
Die neue Dynamik: Wirtschaft vor Klima?
Hinter diesen Entscheidungen stehen wachsende politische Spannungen. Konservative und wirtschaftsnahe Fraktionen – kritisieren, dass der Green Deal europäische Unternehmen zu sehr belaste. Gleichzeitig gewinnen rechtspopulistische Parteien, die Umweltschutz oft als Bedrohung für nationale Souveränität darstellen, in vielen EU-Staaten an Einfluss.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verteidigte die Kurskorrekturen als “pragmatische Anpassungen” im Zeichen geopolitischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten. Doch viele Umweltorganisationen sehen darin eine gefährliche Kapitulation vor kurzfristigen Industrieinteressen.
“Das falsche Signal an die Welt”
Für Umweltaktivist:innen wie Greta Thunberg und Organisationen wie Greenpeace und WWF ist der Trend alarmierend. “Die EU verliert ihre Glaubwürdigkeit als Vorreiterin im Klimaschutz”, warnt Greenpeace-Europa-Chefin Ariadna Rodrigo. Gerade in einer Zeit, in der die Klimakrise weltweit eskaliert, sende Europa das “falsche Signal an die Weltgemeinschaft”.
Auch aus wirtschaftlicher Sicht könnte der Rückschritt teuer werden: Während andere Regionen wie die USA mit dem Inflation Reduction Act massiv in grüne Technologien investieren, droht Europa ins Hintertreffen zu geraten – sowohl ökologisch als auch ökonomisch.
Zivilgesellschaft mobilisiert sich
Doch der Widerstand wächst. Umweltverbände, Bürgerbewegungen und einige progressive EU-Mitgliedsstaaten machen gegen den Rollback mobil. Petitionen, Protestaktionen und neue Koalitionen – etwa für ein verbindliches Recht auf Reparatur – gewinnen an Fahrt. Die Europawahl 2024 hat gezeigt, dass Umweltthemen weiterhin viele Menschen bewegen, auch wenn die politische Landschaft insgesamt fragmentierter wird.
Wendepunkt oder Rückschritt?
Ob sich die Deregulierungswelle verstetigt oder ob die Zivilgesellschaft und klimabewusste politische Kräfte den Green Deal doch noch retten können, bleibt offen. Sicher ist: Die kommenden Monate werden entscheidend dafür sein, ob Europa weiterhin eine globale Führungsrolle im Kampf gegen die Klimakrise beanspruchen kann – oder ob es sich schrittweise aus der Verantwortung zurückzieht.